Sonntag, 30. August 2009

Die beste Musik der Welt

Manche Menschen hinterlassen Spuren im Herzen, die man nie wieder wegbekommt und auch gar nicht wegkriegen will. Bei manchen Alben verhält es sich ebenso. Und manchmal fällt beides sogar zusammen.
Die ersten beiden Alben („Chega de Saudade“ und „O Amor, o Sorriso e a Flor“) von João Gilberto haben nicht nur 1959/60 so ziemlich im Alleingang die Bossa Nova aus der Taufe gehoben, sondern auch mir, über vierzig Jahre später, einiges an Empfindungen über das Leben, die Liebe und den ganzen Rest mitgegeben, um nicht zu sagen: zuvor ungeahnte Gedanken und Gefühle in mir hervorgerufen. Was vergraben war, wurde ans Licht gebracht, was schlummerte, geweckt. Eichendorff mag es mir nachsehen, aber: Die Welt hob an, zu singen, weil João das Zauberwort getroffen hatte. Diese Alben sind pure heart food, no less.
Alles Weitere ging dann ziemlich flott: Wenige Monate nach meiner Initiation durch die sanfte Welle traf ich ein ganz besonderes Mädchen, und ich erkannte durch sie, was mir die Bossa zuvor bereits eingeflüstert hatte. Daß wahres Glück nicht in der kurzfristigen Begeisterung, der Leidenschaft des Moments und der Euphorie der Überwältigung besteht, sondern in einem fortwährenden Gefühl des Geborgenseins, des Sich-mit-der-Welt-einverstanden-Erklärens. Ein tiefer Friede, ein Vertrauen und Sich-zuhause-Fühlen.
Die Zen-ähnliche Simplizität von Gilbertos Musik spricht zum geneigten Hörer und erzählt ihm genauso viel von der Welt wie der Wind in den Bäumen an einem Nachmittag im Juni. Man muß es nur begreifen können. Elegante Schlichtheit statt Lärm und Spektakel. Süße Melancholie, ein schöner Schmerz und zugleich, im selben Moment, auch hoffnungsfroher Aufbruch und jugendliche Frische.
João behandelt die Gitarre wie eine Geliebte und flüstert dazu mehr, als daß er singt. Er führt uns Manifestationen der Liebe vor: Verlangen und Freude, Zärtlichkeit, aber auch Schmerz und Trauer.
Eine spielerische, sommerliche Musik, die immer schon auch um den baldigen Verlust des augenblicklichen Glücks weiß. Liebe, dieses ewige Rätsel, hier begegnet es uns, in wundervolle Poesie und Töne verwandelt.
Harter Schnitt, in das Knistern der Auslaufrille hinein: Der Sommer ging vorbei und mit ihm auch mein Mädchen. Das Glück kam zu mir wie ein Traum. Es währte nicht lange. So wie fast alle guten Bossa Nova-Songs bleibt es in der Regel unter zwei Minuten, auf wenige kurze Augenblicke im Leben beschränkt. Die man zudem meist auch erst im Nachhinein, wenn alles schon wieder vorbei ist, als wahre Glücksmomente erkennt.
Das portugiesische Saudade wird auf den ersten Alben Gilbertos zu reinster Schönheit, zu einem vom Hörer tief empfundenen Lebensgefühl und -entwurf: Frisches Verlangen und zugleich auch schon das Wissen um dessen Verlust und Vergänglichkeit.
Und doch ist da, bei allem Schmerz, immer auch Zuversicht. Denn etwas, das einmal war, kann irgendwann auch wieder sein. So lange man lebt, besteht Hoffnung. Schließlich haben wir (und Leonard Cohen möge mir diesen letzten Kniff verzeihen) immer noch die Musik.

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